Der unter anderem für Pauschalreiserecht zuständige X. Zivilsenat des BGH hat dem EuGH eine Frage zur Auslegung der Pauschalreise-Richtlinie vorgelegt.
Der Kläger buchte bei der Beklagten im Januar 2020 eine Reise nach Japan im Zeitraum vom 3. bis 12.04.2020 zu einem Gesamtpreis von 6.148 €. In Japan waren Anfang Februar Schutzmasken im gesamten Land ausverkauft. Ende Februar schlossen die großen Vergnügungsparks, sportliche Großveranstaltungen fanden nicht mehr oder nur noch unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Am 26.02.2020 beschloss die japanische Regierung, für die kommenden Wochen sämtliche Großveranstaltungen komplett abzusagen. Einen Tag später wurde beschlossen, sämtliche Schulen bis mindestens Anfang April zu schließen. Der Kläger trat am 01.03.2020 von der Reise zurück. Die Beklagte berechnete Stornokosten in Höhe von insgesamt 1.537 € (25 % des Reisepreises), die der Kläger bezahlte. Am 26.03.2020 erging für Japan ein Einreiseverbot. Der Kläger verlangte daraufhin die Rückzahlung des bereits geleisteten Betrags. Das AG hat die Beklagte antragsgemäß zur Rückzahlung von 1.537 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 255,85 € verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das LG den zu zahlenden Betrag auf 14,50 € zuzüglich vorgerichtlicher Kosten in Höhe von 83,54 € reduziert und die weitergehende Klage abgewiesen. Mit seiner vom LG zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Rückzahlungsanspruch in voller Höhe weiter.
Nach Auffassung des BGH hängt die Entscheidung des Rechtsstreits von der Auslegung von Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie (EU) Nr. 2015/2302 (Pauschalreise-Richtlinie) ab. Deshalb hat er die relevante Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt. Die Begründetheit der Klage hängt davon ab, ob die beklagte Reiseveranstalterin dem Anspruch des Klägers auf Rückzahlung des Reisepreises einen Anspruch auf Entschädigung nach § 651h Abs. 1 Satz 3 BGB entgegenhalten kann. Einen solchen Entschädigungsanspruch sieht das Gesetz als regelmäßige Folge für den Fall vor, dass der Reisende vor Reisebeginn vom Vertrag zurücktritt. Der Anspruch ist nach § 651h Abs. 3 BGB ausgeschlossen, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen. In Instanzrechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob Umstände dieser Art bereits im Zeitpunkt des Rücktritts vorgelegen haben müssen oder ob der Entschädigungsanspruch auch dann ausgeschlossen ist, wenn solche Umstände erst nach der Rücktrittserklärung aufgetreten sind. Im Streitfall hat das LG auf den Zeitpunkt der Rücktrittserklärung abgestellt und angenommen, dass eine erhebliche Beeinträchtigung der Reise im Zeitpunkt des Rücktritts am 01.03.2020 noch nicht hinreichend wahrscheinlich war. Der BGH hält diese Beurteilung für fehlerhaft, weil das LG sich nicht mit der Frage befasst hat, ob die ungewöhnliche Art und Anzahl der bis zum 01.03.2020 in Japan getroffenen Maßnahmen schon damals hinreichende Anhaltspunkte für eine erhebliche Infektionsgefahr begründete. Zur abschließenden Klärung dieser Frage müsste er die Sache an das LG zurückverweisen. Eine Zurückverweisung der Sache zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts wäre hingegen entbehrlich, wenn der Entschädigungsanspruch schon wegen des nach dem Rücktritt am 26.03.2020 angeordneten Einreiseverbots ausgeschlossen wäre. Der BGH neigt der Auffassung zu, dass (auch) nach dem Rücktritt aufgetretene Umstände dieser Art zu berücksichtigen sind. Er hat die Frage dem EuGH vorgelegt, weil aufgrund einer Vorlage des österreichischen Obersten Gerichtshofs vom 25.01.2022 (8Ob130/21g) nicht hinreichend klar ist, ob Art. 12 Abs. 2 der Pauschalreise-Richtlinie, deren Umsetzung § 651h BGB dient, in diesem Sinne auszulegen ist. (BGH, Beschl. v. 02.08.2022 – X ZR 53/21)