Überholen darf nur, wer eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer vollständig ausschließen kann. Das ist beim Überholen einer Kolonne (hier hinter einem Traktor) oft nicht einfach. Wenn’s beim Kolonnenspringen zum Unfall kommt, zahlen in der Regel beide Unfallbeteiligte.

Auf einer Landstraße hatte sich hinter einem Traktor eine Kolonne gebildet. Ganz am Ende der Kolonne fuhr der Kläger und vor ihm noch zwei weitere Autos. Nachdem ein Überholverbot endete, begann der Kläger, die Kolonne von hinten links zu überholen. Als er schon auf der Höhe des Wagens direkt hinter dem Traktor war, scherte dessen Fahrerin ebenfalls zum Überholen aus. Der Kläger versuchte noch auszuweichen und schrammte letztlich aufgrund des Manövers am Traktor entlang. Es entstanden erhebliche Schäden. 

Das Gericht legte seiner Entscheidung zugrunde, dass die ausscherende Fahrerin nach § 7 Absatz 5 StVO nur hätte überholen dürften, wenn die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen gewesen wäre. Die Fahrerin habe dies aber nicht beweisen können, denn bereits der Umstand, dass es zu dem Unfall gekommen sei, spräche dafür, dass sie gerade nicht gut genug aufgepasst habe. Der Kläger hingegen habe die Kolonne grundsätzlich überholen dürfen. Zwar gelte die Regel, dass bei „unklarer Verkehrslage“ nicht überholt werden dürfe. Von einer unklaren Verkehrslage sei aber nur auszugehen, wenn sich für den nachfolgenden Fahrer nicht sicher beurteilen lasse, was der Vorausfahrende jetzt gleich tun werde. Hier sei jedoch nichts unklar gewesen. Nicht jede Kolonne sei per se eine „unklare Verkehrslage“. Und auch sonst seien im Prozess keine Umstände feststellbar gewesen, die gegen einen Überholversuch gesprochen hätten. Trotzdem müsse sich der Kläger an dem Schaden beteiligen. Der Unfall sei auch für ihn nicht völlig unvermeidbar gewesen. Auch wenn das Überholen einer Kolonne nicht verboten sei, hätte ein „Idealfahrer“ dies angesichts der damit verbundenen Selbst- und Fremdgefährdung unterlassen (so auch OLG Celle, Urteil v. 08.06.2022, 14 U 118/21). Die generelle Haftung eines Autofahrers (die sog. „Betriebsgefahr“) entfalle daher nicht völlig. Im Ergebnis musste die ausscherende Fahrerin 80 % und der Kläger 20 % des Schadens tragen. (LG Lübeck, Urt. v. 28.07. 2023- 9 O 27/21)